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Was macht eigentlich Andreas Rettig?

„Mein Spurt von der Trainerbank zur Spielertraube ist mir noch nachhaltig in Erinnerung“

Verein 15.06.2021, 11:00

Er war Manager beim SC Freiburg, beim 1. FC Köln, beim FC St. Pauli sowie Geschäftsführer der DFL. Und er hat auch eine lange Zeit in Augsburg verbracht, denn 2006 wechselte Andreas Rettig als Manager vom Rhein an den Lech und mit ihm kamen die Erfolge. Das DFB-Pokal-Halbfinale 2010 und der Aufstieg in die Bundesliga ein Jahr später waren die Highlights seiner sechsjährigen Amtszeit beim FCA. Walter Sianos traf Andreas Rettig auf einem Zwischenstopp in Augsburg zum Interview.

Normalerweise starte ich immer mit der Frage: ”Wo habe ich dich gerade erreicht?”. Der Zufall wollte es, dass du in Augsburg weilst, weil du bei „Blickpunkt Sport“ zu Gast gewesen bist. Du bist überhaupt ein äußerst begehrter Interviewpartner und häufig in den Medien präsent.
Eines muss ich vorausschicken, Geld verdiene ich damit nicht. Ich bin ein Überzeugungstäter und gerade in einer Zeit, in der vieles stromlinienförmig und glattgebügelt ist, kann es nicht schaden, wenn sich jemand zu Themen äußert, die uns Fußballfans bewegen.

Ich kann mir vorstellen, dass man sich in der Branche nicht ausschließlich Freunde macht, wenn man so deutlich Stellung bezieht wie du.
Ich habe mir in dreißig Jahren das Privileg ”erarbeitet”, nicht mehr mit den Wölfen heulen zu müssen. Ich hatte als Folge daraus natürlich auch schon einige kontroverse Gespräche und mir ist sehr bewusst, dass man sich nicht nur Freunde macht, wenn man die Dinge beim Namen nennt. Aber wenn sich jemand deswegen auf den Schlips getreten fühlt, dann ist das eben so.

„Es war eine tolle und erfolgreiche Zeit, weil wir Großes geschaffen haben.“

Du bist 2006 vom 1. FC Köln nach Augsburg gewechselt. Der FC ist ein spezieller Klub, im Prinzip das krasse Gegenteil vom beschaulichen FCA. War der Andreas Rettig, der damals zum FCA gekommen ist, ein anderer als der, der aus Augsburg weggegangen ist?
Man nimmt aus jeder Station etwas mit. Eigentlich bin ich in Freiburg sozialisiert worden und es stimmt, Köln ist ein heißes Pflaster. Die sechs Jahre in Augsburg waren für mich eine Weiterentwicklung. Es war eine tolle und erfolgreiche Zeit, weil wir Großes geschaffen haben. ”Lebenslanges Lernen”, das war einer der Leitsprüche des damaligen Präsidenten Walther Seinsch und den habe ich auch immer beherzigt.

Kannst du dich noch an deinen ersten Arbeitstag in der FCA-Geschäftsstelle erinnern?
(lacht) Und ob! Ich wusste zuerst gar nicht, dass das die Geschäftsstelle war und alles war schon etwas gewöhnungsbedürftig. Im Untergeschoss in der Donauwörther Straße war damals die FCA-Gaststätte und so passierte es immer wieder mal, dass plötzlich Gäste in meinem Büro standen: ”Oh, falsche Tür, ist das nicht die Toilette…? Aber wenn ich schon mal hier bin… ” Das hatte auch seinen Charme und ich verbinde nahezu nur positive Erinnerungen mit Augsburg. Bis auf das letzte Heimspiel 2008 gegen Carl Zeiss Jena, als es um den Abstieg in die 3. Liga ging. Das hat unheimlich viel Nerven gekostet.

Du warst Manager beim SC Freiburg, dem 1. FC Köln, beim FCA und dem FC St. Pauli. Mit 2.291 Diensttagen hattest du deine längste Amtszeit hier in Augsburg. Das hättest du zu Beginn wohl auch nicht gedacht?
Nein, das muss ich ehrlich gestehen, das hätte ich nie für möglich gehalten. Die Stadt hat mir zwar immer sehr gefallen, aber die Mentalität der Menschen hier ist schon gewöhnungsbedürftig. Ich weiß nicht, ob ich den Augsburger auch nach sechs Jahren richtig verstanden habe. (lacht) Aber es herrschte definitiv ein richtig guter Geist im Team und rund um den Klub. Ich habe auch immer noch einen sehr guten Kontakt mit den Leuten von damals, wie etwa Michael Ströll, Felix Jäckle, Markus Krapf und vielen anderen.

Höhepunkt war natürlich der Aufstieg 2010 in die Bundesliga. Kannst du den Moment schildern, als Stephan Hain vier Minuten vor Spielende den Ball über die Linie gedrückt hat?
Natürlich kann ich das, aber es ging ja schon vorher los. Wir waren natürlich mit dem Parallelspiel Osnabrück gegen Bochum verbunden. Je nach Spielkonstellation hätte uns auch schon ein Unentschieden den Aufstieg bescheren können. Der VfL Bochum lag eine Viertelstunde vor Schluss zurück, bei uns stand es 1:1, damit wären wir durch gewesen. Was also tun: Das Unentschieden sichern oder auf Sieg spielen? Darüber habe ich auf der Bank mit Jos Luhukay diskutiert, wir haben uns für die zweite Variante entschieden und damit die richtige Entscheidung getroffen. Bochum hat nämlich in der Nachspielzeit tatsächlich noch gewonnen. Aber mein Spurt von der Trainerbank zur Spielertraube ist mir auch heute noch nachhaltig in Erinnerung.

„Wir müssen jetzt den Hebel ansetzen und brauchen mehr Bodenständigkeit, mehr soziales Engagement und mehr Nachhaltigkeit.“

Stimmst du mir zu, wenn ich behaupte, dass bei dir im Laufe der Zeit eine Wandlung vom Funktionär zum Sprachrohr vieler Fußballfans stattgefunden hat. Gerade seit deiner Zeit als DFL-Geschäftsführer bist du oft für die Interessen von Fans und Fanverbänden eingetreten.
Ich würde schon behaupten, dass ich mich sehr früh eine bestimmte Grundausrichtung im Profifußball starkgemacht habe. Beispielsweise bei der 50+1-Regel oder beim Thema Nachhaltigkeit waren wir schon vor 25 Jahren in Freiburg Vorreiter, auch was die Freiburger Fußballschule angeht, die eine der ersten in der Bundesliga war.

Du warst über vier Jahre beim FC St. Pauli tätig. Hinter dem Verein steckt schon mehr als bloß eine coole Marketingstrategie. Was genau sollte man sich vom Kiezklub abschauen?
Mich hat es sehr fasziniert, mit welcher Konsequenz man auf St. Pauli für das Eintreten und das Umsetzen von Werten steht. Es gibt nur sehr wenig Vereine, bei denen das in dieser Ausprägung zu Tage tritt. Man kann sicherlich darüber diskutieren, ob es hier oder da zu politisch wird, aber die Grund-DNA dieses Vereins für Werte und Haltung ist großartig und nachahmenswert.

Der Profifußball dreht sich immer schneller. Die Champions League soll reformiert werden, die EM quer durch Europa wird trotz der Pandemie durchgezogen und die WM in Katar setzt dem Ganzen die Krone auf. Wie weit kann man den Bogen noch spannen?
Darüber wird ja schon seit Jahren diskutiert, dass das Fass irgendwann mal überläuft. Immer mehr und neue Wettbewerbe sollen kommen verbunden mit einer ungerechten Verteilung von Medienerlösen. Ich warte auf den Tag, an dem FIFA und UEFA per Dekret beschließen, das Kalenderjahr auf 400 Tage aufzustocken, damit noch mehr Spiele stattfinden können. Das ist eine Entwicklung, die irgendwann in eine Sackgasse führt, denn eine Branche, die mit und durch die Öffentlichkeit ihr Geld verdient, braucht gesellschaftliche Akzeptanz. Diese schwindet immer mehr und das wird dazu führen, dass mittelfristig die Emotionalität auf der Strecke bleibt.

Quo vadis?
Wir müssen jetzt den Hebel ansetzen und brauchen mehr Bodenständigkeit, mehr soziales Engagement und mehr Nachhaltigkeit. Wenn diese Themen nicht glaubwürdig vorangetrieben werden, haben wir schon bald ein echtes Problem.

 

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