Was macht eigentlich Ernst Middendorp?
"Bei all meinen Stationen war Augsburg etwas Besonderes"
Die Überraschung war perfekt, als Globetrotter Ernst Middendorp Anfang März vom Drittligisten SV Meppen verpflichtet wurde. Seine Mission ist klar: Er soll die Emsländer vor dem drohenden Abstieg in die Regionalliga retten. In Bielefeld wurde er einst zum Jahrhunderttrainer der Arminia gewählt, beim FCA gab der „General“ von 2002 bis 2003 die Kommandos von der Trainerbank. Im Stadionkurier sprach Middendorp über seine neue Station und seine Erinnerungen an Augsburg.
Hallo Ernst, wo habe ich dich denn gerade erreicht?
In meinem Trainerbüro in Meppen. Ich sitze hier zwischen zwei Trainingseinheiten und nutze die Zeit, um einiges abzuarbeiten.
Nach 14 Jahren bist du als Trainer nach Deutschland zurückgekehrt. Das ist eine halbe Ewigkeit. Wie ist das, wenn man nach so langer Zeit wieder in die Heimat kommt?
Es ist komisch und ehrlich gesagt kann ich das gar nicht so richtig definieren. Es fängt mit dem Wetter an, gestern hat es hier geschneit und alles war grau um mich herum, man lebt in einer ganz anderen Welt. Was mir gleich auffiel, die Infrastruktur in der 3. Deutschen Liga ist auf einem sehr guten Niveau, egal ob Stadion, Trainingsplätze, Betreuung oder Physiotherapie. So gut sind in der südafrikanischen Premier League maximal vier oder fünf Clubs aufgestellt.
Wie etwa die Kaizer Chiefs, die du schon zweimal trainiert hast?
Ja, die Chiefs sind der FC Bayern Südafrikas, da spielt sich alles auf einem anderen Level ab.
Wie groß ist denn dein Heimweh nach Deutschland gewesen?
Ich bin nicht gelenkt durch Heimweh, aber in diesem Fall war das schon etwas anders, denn ich bin hier im Emsland aufgewachsen und der SV Meppen hat die Region im Fußball schon in meiner Jugend repräsentiert.
Ich war sehr überrascht, als ich die Nachricht bekannt wurde, dass du zum SV Meppen in die 3. Liga wechselst, ich hätte eher mit einer Rückkehr zu Arminia Bielefeld spekuliert.
Ich bin noch mit der Arminia verbunden und es gab auch immer wieder mal in der Vergangenheit Kontakt mit den Verantwortlichen, aber eine Rückkehr war niemals ein Thema. Ich bin hier in Meppen sehr gut aufgehoben und fühle mich richtig wohl. Der Job ist natürlich gerade in dieser Phase sehr busy und herausfordernd.
Als wir vor einer Woche zum ersten Mal Kontakt hatten, meintest du ganz lapidar: „Einfach kann jeder!“ Der SV Meppen ist derzeit Schlusslicht der Tabelle, der Klassenerhalt ist also eine schwierige Mission.
Das stimmt, aber mich hat ja niemand dazu zwingen müssen. Ich bin mir um die Schwere dieser Aufgabe bewusst, aber die Situation ist nicht aussichtslos und genau das macht es für mich so interessant.
Wieso hast du dich für den SV Meppen entschieden, du hattest bei deinem letzten Club Swallows FC noch einen Vertrag bis 2026.
Natürlich hatte die Verbindung mit dem Emsland Einfluss auf meine Entscheidung. Zudem mag ich diese Art von Projekten, die im Grunde genommen aussichtslos erscheinen und habe das schon mehrmals in meinem Leben gemacht. Wir müssen jetzt Ruhe und Nerven behalten, sehr intensiv weiterarbeiten und dann werden wir sehen, wo wir nach dem letzten Spieltag stehen. Wenn ich nicht fest an den Klassenerhalt glauben würde, hätte ich nie angenommen.
Wie ist der Kontakt zustande gekommen?
Ronny Maul, der Geschäftsführer in Meppen, war ein früherer Spieler von mir in Bielefeld. Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder mal Kontakt, aber irgendwie sind wir aus verschiedensten Gründen nie zusammengekommen. Vor einigen Wochen kam dann ein Anruf und innerhalb von nur zwei Tagen war alles eingetütet und schon einen Tag darauf stand ich hier auf dem Trainingsplatz.
"Man lernt das Leben zu genießen"
Du bist in deiner Karriere schon sehr viel herumgekommen. Du wurdest zum Jahrhunderttrainer in Bielefeld gewählt, hast u.a. in Ghana, Thailand, Zypern und lange in Südafrika gearbeitet. Was macht das mit einem?
Man erweitert seinen Horizont und lernt das Leben zu genießen. Okay, das habe ich vorher auch schon gemacht, aber man sieht viel und nimmt viel wahr und wird mit der Zeit gelassener. Wenn man mal eine Weile in Äthiopien oder Thailand gelebt hat, sieht man auch Dinge, die nicht so schön sind und hier in Deutschland wird für meinen Geschmack oft auf einem sehr hohen Niveau gejammert.
Hast du eigentlich trotz einer räumlichen Distanz den deutschen Fußball immer akribisch verfolgt?
So ist es. Wir haben heute so viele Möglichkeiten wie noch nie. Man kann aus jedem Winkel der Erde sämtliche Ligen aus aller Herren Länder verfolgen und hat viele Tools, um ständig up to date zu bleiben, wenn man eine gewisse Leidenschaft für seinen Beruf hat.
Welchen Stellenwert besitzt denn der deutsche Fußball im Ausland?
In Südafrika und Thailand steht der englische Fußball klar im Fokus und Clubs wie der FC Liverpool oder Manchester United sind dort sehr populär. Aber ich würde schon behaupten, dass der FC Bayern da gar nicht groß hinterherhinkt. Gerade die Championsleague ist als Wettbewerb in der Wertigkeit die Nummer 1 und wenn der FC Bayern beispielsweise Clubs wie Paris St. Germain so locker weghaut, dann registriert man das auf der ganzen Welt. Auch der UEFA-Cup-Sieg von Eintracht Frankfurt hat da eine wichtige Rolle gespielt. Ich glaube auch nicht, dass die deutsche Nationalmannschaft durch die letzte WM Schaden erlitten hat, denn es gibt genügend deutsche Spieler, die bei den ganz großen Clubs spielen.
Kommen wir auf Augsburg zu sprechen. Wie hast du eigentlich deine Zeit beim FC Augsburg in Erinnerung?
Augsburg war bei all meinen Stationen doch tatsächlich etwas Besonderes, denn die damaligen Protagonisten im Club waren in ihrer Arbeit von einer großen Leidenschaft geprägt. Ich habe einige nette und coole Menschen kennengelernt, zu denen der Kontakt bis heute nie angebrochen ist.
Einen, den du aus deiner Augsburger Zeit noch gut kennst, ist jetzt sogar Präsident …
(Lacht laut). Ja, mein damaliger Geschäftsführer Markus Krapf. Ich habe einen guten Cabernet-Sauvignon geöffnet, als ich diese Meldung vernommen habe, denn er ist für mich die perfekte Figur für dieses Amt. Er verkörpert diesen Mix aus Leidenschaft, Identifikation und auch Qualifikation, ist schon lange dabei und hat auch einige Jahre für den Club gearbeitet. Er kennt den FCA aus dem Effeff und ist in seiner Art unkonventionell, man kann den Verantwortlichen zu dieser Wahl also nur gratulieren.
Wenn man dich betrachtet, dann kann man es kaum glauben, aber dieses Jahr wirst du 65 Jahre alt. Viele bringen mit dieser Zahl eine beginnende Rente in Verbindung, wie ist dein Matchplan?
Rente… (lacht)? Nein, nein, das kommt für mich gar nicht in Frage. Ich bin topfit, laufe vier Mal die Woche sieben bis zehn Kilometer und habe schon vor Jahren meine Ernährung umgestellt. Ich bin mit voller Leidenschaft und Energie dabei und brauche das Simultan-Coachen auf dem Platz, wie du an meiner heiseren Stimme hören kannst.
Hast du eigentlich nie mit dem Gedanken gespielt, einmal Nationaltrainer eines afrikanischen oder asiatischen Landes zu werden?
Ich habe mich nie in diese Richtung bemüht, denn ich brauche das Tagesgeschäft. Alle zwei, drei Monate ein Team um mich zu versammeln, das reizt mich momentan nicht. Ich war zwei Jahre bei Bangkok United als Sportdirektor und circa 70 Prozent meiner Tätigkeit dort galt dem Nachwuchs. Talente erkennen und sie zu fördern, das ist eine Richtung, die ich mir für die Zukunft gut vorstellen könnte.
Dein Vertrag in Meppen gilt bis Saisonende. Was kommt danach?
Meine ganze Konzentration gilt im Moment dem Klassenerhalt. Was nach dem letzten Spieltag am 27. Mai passiert, soweit denke ich heute noch nicht. Alles ist denkbar, aber ich muss auch ehrlich sagen, meine Hauptadresse ist mittlerweile längst Johannesburg. Dort lebe ich und daran wird sich auch nichts ändern. (ws)